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 Auszüge aus

der (fiktiven) Rede des (fiktiven) Unterrichtsminister Macchiavell

vor den Hofräten und vortragenden Räten seines Ministeriums

 

 in:  Siegfried Bernfeld: Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung. erstmals 1925 erschienen

 

„ Dieses unser Ziel zu erreichen, schlage ich Ihnen folgende organisatorischen Maßnahmen vor. Sie müssen nämlich verstehen, daß die Organisation des Erziehungswesens das entscheidende Problem ist, das wir konsequent und unerbittlich unserem Einfluss restlos vorbehalten müssen, während wir die Lehrplan-, Unterrichts-, selbst Erziehungsfragen beruhigt den Pädagogen, Ideologen, ja selbst den Sozialdemokraten überlassen können. Doch würde ich auch in dieser Zulassung taktisch vorgehen. Sie wird gefordert werden, und wir lassen lange um sie kämpfen und gewähren sie in Form von Konzessionen immer dann, wenn wir eine Ablenkung der Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit für nötig halten. Also die erste organisatorische Forderung ist: Trennung der bürgerlichen Jugend von der proletarischen. Die bürgerliche Jugend sind die Kinder jener Familien, die vor jeder Proletarisierung in dieser Generation völlig gesichert sind. Es sind nicht sehr viele, aber es sind die, auf die es ankommt. Wir haben sie keineswegs in getrennten Schulen zu erziehen. Dies würde unnötiges Aufsehen erregen, und das Vermögen und soziale Ansehen ihrer Väter sichert ihnen ohnedies eine ungestörte Schullaufbahn.“

„Wenn ich sage, wir wollen die bürgerliche Jugend von der übrigen trennen, so meine ich die Kinder jener Familien, deren künftige Klassenzugehörigkeit unsicher ist, die wir mit den Thronfolgern zusammen erziehen, aufwachsen lassen wollen. Sie werden sich infolge der libidinösen Identifikation für ihr Leben unseren Kapitalfürsten anschließen und ihnen treue Lehensritter sein.“

„Ich empfehle also, einen Intellektuellenstand zu schaffen, in dem Sie die quasibürgerliche Jugend durch eine Bildungskluft von der proletarischen trennen und sie durch Identifikation für ewig im Wünschen und Denken mit der besitzenden Klasse verknüpfen. Diese psychologische Basis erst wird sie gegen die Einsicht ihrer ökonomischen Situation sichern und ihre individuellen Chancen für den ökonomischen Aufstieg, die, wenn auch klein, im Prinzip vorhanden sind, im Sinne ihres Ideals erkämpfen lassen. Diese Jugend bleibt also bis in die 20er Jahre in der Schule. Hierin - d.h. meine Herren, ich warne Sie aufs ernsteste, sich hier in die pädagogischen Fragen einzumengen - hierin haben Sie keinerlei Meinung und Überzeugung zu haben. Vergessen Sie nicht, Sie sind Beamte eines Unterrichtsministeriums! Als solche haben Sie in Unterrichtsfragen strengste Neutralität zu wahren. Es kann allerdings opportun sein, gelegentlich einen anderen Anschein zu erwecken. Was in diesen bürgerlichen Schulen mit der Jugend geschieht, ist völlig gleichgültig. Denken Sie diesen Gedanken durch: Wichtig ist bloß, wer in sie aufgenommen wird und ob Anstalten der quasi-bürgerlichen Jugend die Möglichkeit geben, die Annehmlichkeiten eines kultivierten Lebens schätzen zu lernen, verbunden mit der Erkenntnis, daß diese nur durch den Bestand unserer vortrefflichen Ordnung gesichert, für sie selbst gesichert sind. Wir müssen durchaus das Vorbild der englischen Colleges erreichen, doch empfehle ich Ihnen den Namen Landerziehungsheim, oder zur Verwirrung der revolutionären Jugend, den der Schulgemeinden (*).“

„Nur keine Pedanterie! Glauben Sie ja nicht, daß wir irgendein Interesse daran haben, daß diese Jugend etwas lernt. Wir haben die Aufgabe, unserer Jugend eine feste Ideologie zu geben. Die lernt man nicht, die bildet sich von selbst an den Annehmlichkeiten eines parasitären Lebens. Wir brauchen nur ein paar Stichworte zu geben, um den von selbst keimenden Gedanken die Autorität eines Kulturgutes zu verleihen. Im Übrigen muß die Jugend zu Selbstbewusstsein erzogen werden. Sie muß von ihrem Adel, ihrer Schönheit, ihrer Kulturmission überzeugt sein. Scheuen Sie sich nicht, hier Wynecken (*) zu verwenden, es ist ganz ungefährlich.“

„Es ist der volle Betrieb der freien Konkurrenz durchgeführt. Man kann nach oben gelangen, auf den ersten Platz in der Klasse und in der Liebe der Lehrerin oder des Lehrers, wenn man tüchtig ist - tüchtig im Wissen oder im Schwindeln, im Schmeicheln oder in der Energie. Die inhaltliche Erfüllung dieses Betriebes geht dahin, Schul- und Bücherwissen über alles hoch und jenseits jedes Zweifels zu stellen. Und in diesem Rahmen werden die Geschichten, die die Lehrer den Kindern von der bürgerlichen Gesellschaft erzählen, ihren Zweck nicht verfehlen.“

„Die Krönung dieses Schulwesens ist aber in der Organisation der Pubertätserziehung gegeben.“ „Die jungen Proletarier werden ihrer ökonomischen Situation völlig überlassen. Ihre Eltern werden sie zu wirtschaftlicher Selbständigkeit treiben, und sie werden in Fabrik und Lehre, wenn wir nicht eingreifen, ein ihren erwachsenen Klassengenossen völlig gleichartiges Leben führen. Ja, da zu erwarten ist, dass ihre Gewerkschaften schwächer sein und die Organisationen der Erwachsenen für sie weniger stark eintreten werden, müssen sie unter einen härteren Druck der Ausbeutung geraten. Sie werden, da ja die Schule sie dahin vorbereitet hat, auch die Fabrik und das ganze Wirtschaftsleben unter der affektiven Einstellung der Familie - unbewußt, versteht sich - auffassen. D.h. sie werden ihre Aggressionen und Liebeswerbungen auf den persönlichen Vorgesetzten oder den Einzelunternehmer richten. Die sozialistischen Parteien werden es sehr schwer haben, ihnen dahinter die bürgerliche Klasse zu erweisen.“

„Meine allgemeinste Formel der Erziehung: Reaktion der Gesellschaft auf die Entwicklungstatsache, begreift alle diese Sachverhalte völlig in sich. Die ökonomischsoziale Struktur der Gesellschaft hat ihren eindeutig bestimmten Rahmen für diese Reaktion in sich. Die Organisation der Erziehung ist aufs Genaueste bestimmt. An ihr ist auf keinem anderen Weg auch nur das mindeste zu ändern als ausschließlich durch eine vorausgegangene Änderung dieser Struktur. Diese mag unscheinbar und jene auffallend sein, aber geschehen muß sie sein. Die Erziehung ist konservativ. Ihre Organisation ist es insbesondere. Niemals ist sie die Vorbereitung für eine Strukturänderung der Gesellschaft gewesen, immer, ganz ausnahmslos, war sie erst die Folge der vollzogenen. Das hieße: Es gibt keinen Fortschritt der Erziehung? Nein, es gibt keinen!“

 

* * *

(*) Der Begriff Schulgemeinde und der Name Wyneken standen zu Anfang des 20. Jh. für Projekte und Persönlichkeiten der Reformpädagogik, die von Reaktionären wegen ihrer angeblich revolutionären Verfahrensweisen und Ansichten scharf angefeindet wurden. (siehe dazu auch das Stichwort „Wyneken“ in Wikipedia)  (R.J.)

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